Die Rede der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, fiel durch die Qualität, ihre Entschlossenheit und ihre Vorschläge positiv auf. Die Bereiche Digitaltechnik, Umwelt und Gesundheit sollten Gegenstand einer stärkeren gemeinsamen Politik sein, um eine größere kollektive Effizienz zu erreichen. Andererseits war die Rede im Bezug auf das Thema Außenpolitik viel zu bescheiden, zweideutig und zaghaft. Sie zeigte einmal mehr, wie gespalten die Europäer sind, wenn es darum geht, auf der internationalen Bühne Stellung zu beziehen oder zu handeln.
Gegenwärtig wollen die baltischen Staaten und Nordeuropa den weißrussischen Diktator und den russischen Zaren sanktionieren, während die Mittelmeerländer den expansionistischen Nationalismus der Türkei stoppen wollen. Beide wollen ein Veto einlegen, wenn ihre Wünsche nicht erfüllt werden. In dieser Woche werden sich die Staats- und Regierungschefs zwischen diesen widersprüchlichen Wünschen entscheiden müssen.
Einige kommen nun zu dem Schluss, dass Entscheidungen in diesen Angelegenheiten durch Mehrheitsbeschluss getroffen werden sollten. Dies mag auf dem Papier gerechtfertigt sein, ist aber in der Realität fast undenkbar. Welcher Staat, egal wie groß oder klein, wird akzeptieren, dass seine Stimme nicht mehr zählt?
Um diese Hindernisse zu überwinden, müssen wir dem Ansatz von Robert Schuman aus dem Jahr 1950 treu bleiben. Die fortschrittliche Union Europas, damals undenkbar, war nur durch die Suche nach kohärenten – wenn auch nicht sofort geteilten – Interessen möglich. Mit anderen Worten, es hat keinen Sinn zu versuchen, den Nationalstaaten ihre Vorrechte wegnehmen zu wollen; es muss ihnen schmackhaft gemacht werden, dass sie durch Vergemeinschaftung oder durch die Delegation etwas zu gewinnen haben. Eine Entscheidung, ein Vertrag oder ein Verfahren, das dazu führen würde, ihnen einen Teil ihrer Macht zu entziehen, wird nicht möglich sein, und zwar für lange Zeit.
Auf der anderen Seite kann man sich einige Möglichkeiten vorstellen, die internationalen Bestrebungen der Union "freizugeben". Könnten diese nicht autonom und losgelöst von den Zuständigkeiten der Europäischen Kommission gemacht werden, die über die Mittel für Zusammenarbeit und humanitäre Maßnahmen verfügt, die Handelspolitik lenkt und ganz konkret dafür sorgt, dass der gemeinsame diplomatische Dienst und sein Personal unter ihrer Aufsicht bleiben? Sie steht im Wettbewerb mit den Staaten und meist in einem autonomen Rahmen ohne spezifisches außenpolitisches Ziel.
Josep Borell, Hoher Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik, zeigt, dass eine starke europäische Stimme, die sich nicht mit der üblichen Brüsseler Betonsprache begnügt, ihren rechtmäßigen Platz auf der internationalen Bühne hat. Als erfahrener Politiker bekleidete er das Amt des Außenministers seines Landes, Spaniens, dessen Entwicklungen, Leiden und Stolz er miterlebt hat. Im Dienste des kollektiven Interesses weiß dieser Mann der Überzeugungen seine Freiheit zu nutzen, und wenn er von der Kommission noch unabhängiger wäre und weitere materielle Mittel zur Verfügung hätte, wäre er noch effektiver. Seine Funktion als Vizepräsident der Kommission reicht nicht aus, um ihn von einem in diesem Bereich noch sehr unerfahrenem Europäischen Parlament, von einer sehr juristischen und naiven Praxis der Entwicklungshilfe und von einer Logik der Verträge zu lösen, die mehr unnötige Vorschläge als reale Positionen produziert. Eine gemeinsame Außenpolitik muss denjenigen einen Dienst erweisen, die allzu oft lieber schweigen oder aus Angst vor dem Zorn mächtigerer Drittländer es unterlassen, ihre Stimmen zu erheben. Diese Politik muss diejenigen unterstützen, die versuchen, die europäischen Interessen zu fördern und zu verteidigen, indem sie die Stärken und Besonderheiten der Mitgliedstaaten mit einbezieht.
Sollten wir darüber hinaus nicht die Bestimmungen der bestehenden Verträge nutzen, die es einem oder mehreren Mitgliedsstaaten erlauben, im Namen anderer zu handeln? Ist dies nicht bereits der Fall bei den Atomverhandlungen mit dem Iran, wo Deutschland und Frankreich Europa vertreten? Ist dies nicht bereits in der Sahelzone der Fall, wo Frankreich sich bereit erklärt, das Leben seiner Soldaten zu riskieren, um den gefährlichsten Teil des Kampfes gegen den Terrorismus zu übernehmen? Und im Persischen Golf, wo einige zu wenige europäische Marinestreitkräfte zur Sicherheit des Seeverkehr beitragen? Ist Angela Merkel, die dies gerade im Namen der 27 getan hat, nicht die glaubwürdigste europäische Führungspersönlichkeit, wenn es darum geht, China davon zu überzeugen, endlich ein loyaler Handelspartner zu sein?
Die Europäische Union kann froh sein, eine Europäische Kommission zu haben, eine supranationale Behörde mit begrenzten Kompetenzen, die diese ihr verliehenen Kompetenzen viel besser ausübt als es die einzelnen Mitgliedstaaten jemals könnten. Der Binnenmarkt ist damit zu einer weltweiten Erfolgsgeschichte geworden, der Begehrlichkeiten weckt. Der Kommission könnten weitere Vorrechte übertragen werden, um das öffentliche Handeln zu stärken, zum Beispiel in sozialen oder gesundheitlichen Angelegenheiten. Aber diese Übergabe kann sich vorerst nicht auf den symbolischen Bereich der internationalen Angelegenheiten erstrecken, welcher so komplex und heikel geworden ist und manchmal Positionen der Stärke oder den Einsatz von Zwangsmitteln erfordert. Andere Wege sind möglich. Hoffen wir, dass die Staats- und Regierungschefs in der Lage sein werden, mit gutem Beispiel voranzugehen oder eines Tages die Verträge zu ändern. Dies wäre sicherlich der Weg des wünschenswerten und erhofften europäischen Fortschritts.