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Europa: weder ein Staat noch ein Imperium

30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer

 Der Fall der Berliner Mauer führte zur Auflösung der Sowjetunion, die die Hälfte des europäischen Kontinents unter einer gnadenlosen kommunistischen Diktatur erstickte. 

Diese Befreiung der Völker Europas war eine echte Wiedervereinigung des Kontinents, insbesondere dank der Europäischen Union, die die Staaten, die mit Gewalt auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs gehalten wurden, wieder integriert hat. Die Verteidigungsprobleme in Europa wurden damit gelöst. Wo stehen wir dreißig Jahre nach diesem historischen Ereignis? 

Eine provokante Aussage wäre folgende: "An der gleichen Stelle!" Doch trotz echter Enttäuschungen scheint der neue internationale Kontext die Europäer aufgeweckt zu haben.

Nach dem Sieg im Kalten Krieg wurde die NATO nicht aufgelöst, und das war wahrscheinlich ein Fehler. 

Die territoriale Verteidigung des Kontinents ist daher unter amerikanischer Kontrolle geblieben. Vierundsiebzig Jahre nach dem Ende der Kämpfe in Europa verlassen sich die Europäer aus Leichtigkeit, Komfort oder Schwäche immer noch auf andere, um sie zu verteidigen, die immer zuerst ihre entfernten Vision und ihre nahen Interessen im Auge haben. 

Europa muss nunmehr seine globalen und weltweiten Interessen definieren, verteidigen und fördern. Die Union ist auch noch nicht in der Lage, dies an ihren Grenzen zu tun.

Die "Europäische Verteidigung" verharrt seit 65 Jahren im Entstehungsprozess. Vor allem unter dem Einfluss Frankreichs, aber ins besondere vor dem Hintergrund eines neuen internationalen Kontextes zeichnen sich zaghafte Fortschritte ab.

Gemeinsame europäische Interessen sind in den Bereichen Handel, Technologie, Umwelt oder Sicherheit deutlicher geworden. Dies betrifft die in diesen Bereichen geltenden Regeln, aber auch Allianzen und Verhaltensweisen. Der Rückzug der USA lässt die Europäer allein verantwortlich, um westliche Konzepte des Multilateralismus zu entwickeln und eine organisierte internationale Gesellschaft zu fördern. Beim Thema Sicherheit, regiert noch mehr die Angst, als das die Situation stimulierend wirkt.

Während Frankreich stark auf die militärische Unabhängigkeit Europas drängt, begnügt sich der Kontinent im Moment damit, bei der Durchführung seiner Verteidigungspolitik eine "strategische Autonomie" anzustreben. Die Europäische Kommission konnte die ersten Schritte in Richtung eines Europäischen Verteidigungsfonds einleiten, der den Beginn einer Bündelung europäischer Ressourcen für gemeinsame Forschungs- und Militärprogramme darstellt. Aber dieser Fortschritt wird nicht von allen begrüßt und ruft Kritik bei denen hervor, die glauben, dass Europa sich nicht verteidigen muss, und bei anderen, die glauben, dass der amerikanische Schutz ausreichend ist.

Um diese Zurückhaltung zu verstehen, muss man wissen, dass der europäische Aufbauprozess weder in einen Staat noch in ein Imperium gemündet hat. Es ist ein neues und einzigartiges Projekt in der Geschichte, dem es gelungen ist, den Kontinent zu befrieden und ihm siebzig Jahre Frieden zu sichern. Aber jetzt steht man vor neuen Herausforderungen.

Der russische Revisionismus erfordert eine glaubwürdige und vernünftige europäische Antwort. Der türkische Problemfall im Nahen Osten zeigt, wie wichtig eine echte europäische Präsenz im geopolitischen Spiel in dieser Region ist. Die Herausforderungen in Afrika sollten noch besser berücksichtigt werden, um zu vermeiden, dass der Kontinent all seine Bewohner verliert, aber auch, weil, wie Robert Schuman in den 1960er Jahren sagte, das Schicksal der beiden Kontinente miteinander verbunden ist. Die europäischen Bemühungen sind finanzieller, aber auch sicherheitspolitischer und militärischer Natur, und Frankreich kann stolz darauf sein, viele europäische Partner dazu gewonnen zu habe, mit diesen Mitteln, die Terrorismusbekämpfung zu unterstützen.

Europa hat nur langsam alle Lehren aus dem Fall der Berliner Mauer gezogen. Es hat die "Friedensdividende" aufgebraucht und die geringen Verteidigungsbemühungen waren nicht ausreichend, deshalb muss man jetzt einen Aufholprozess in Gang setzen. Europa entdeckt die Tugenden der "strategischen Autonomie". Der bevorstehende Brexit und der internationale Kontext müssen die Europäer davon überzeugen, sich selbst als autonome Kraft zu betrachten. Es ist nun ihre Pflicht, ihre Werte und Interessen zu verteidigen und zu fördern. Man scheint aufzuwachen. Sie haben die Mittel dafür.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe, vom 4. November, der Zeitung La Croix veröffentlicht.
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