Wie in allen Demokratien ist die politische Bühne in Europa von großen Veränderungen betroffen. Traditionelle Formen der Machtausübung sind umstritten. Die großen Parteien und ihre Existenz werden kritisch hinterfragt. Koalitionen, die sich aus dem Verhältniswahlrecht ergeben, sind zunehmend schwieriger zu bilden. Die extremistischen Parteien der Rechten und Linken blühen auf, mit ihren Vorstellungen und Ideen von Protektionismus und der Rückbesinnung auf die Nation. Die Bürger spüren, dass ihre Anführer den Lauf der Dinge nicht mehr richtig beeinflussen können.
In Europa ist der Zusammenbruch der Sozialdemokratie am spektakulärsten. Die griechische PASOK war die erste Partei, die nach der Finanzkrise in Griechenland eine Großzahl ihrer Wähler verlor. Aber was ist mit den Niederlanden, Spanien, Belgien, Österreich, Deutschland und natürlich mit Frankreich, wo die Partei des amtierenden Präsidenten bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen nur 6% der Stimmen erhielt? Es gibt nicht nur einen Grund für dieses Phänomen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus hätte man die Sozialdemokratie neu ausrichten müssen. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte man einfach den Totalitarismus ablehnen und Gleichheit fördern. In den letzten 25 Jahren hat man es versäumt, die Wünsche und Träume der Wähler zu verstehen und umzusetzen. Stattdessen wollte man einzig und allein das Erreichte verwalten. Davon sind die Wähler enttäuscht und wenden sich in Scharen ab. Einzig in Portugal ist dieser Trend nicht zu beobachten. Jedoch kann diese Ausnahme nicht darüber hinweg täuschen, dass die Sozialdemokraten nur noch in sechs europäischen Ländern die Regierung stellen.
Die extremen rechten Parteien haben noch keinen verstärkten Zulauf erfahren, jedoch haben gefährliche Populisten, die manchmal fremdenfeindlich sind, einen sehr starken Zuspruch in der Bevölkerung. In Italien, Frankreich, Spanien, dem Vereinigten Königreich und sogar Deutschland wird es nun klar, dass die wirtschaftsfreundliche Politik und die nicht eingehaltenen Versprechen von vermehrtem Wohlstand für alle den Populisten Wähler in die Arme treiben.
Selbst in den wenigen Ländern, in denen die Sozialdemokraten an der Macht geblieben sind, reicht es nicht mehr aus, nur als seriöser Staatslenker oder Garant von Freiheiten aufzutreten. Sie müssen nun beweisen, dass die neue Wirtschaftsordnung eine Chance bietet und keine Ursache für Arbeitslosigkeit, sozialen Abstieg oder Ungleichheit ist. Die moderne Form des Kapitalismus wird in Frage gestellt, weil die Anliegen der Bürger über wirtschaftliche Fragestellungen hinausgehen: Sie berühren die Identität der Menschen, ein Konzept, das oft lähmt.
Die wahre Überraschung auf dem europäischen Kontinent entsteht durch eine neue Generation von Anführern, die an die Macht kommen. Acht von ihnen sind unter 50 Jahren, dazu gehören folgende: Frankreich, Irland, Belgien, Luxemburg, Österreich, Kroatien, Estland und Litauen. Neue Methoden, direktere Reden und mutige Reformen charakterisieren einige von ihnen, die, wie der französische Präsident, dazu beitragen, Europa wieder einen wichtigen Platz auf der Weltbühne zu verschaffen. Außerdem wird die Identität Europas gestärkt und vielleicht auch Demokratie und Freiheit verteidigt, die beide, angesichts immer mehr autokratischer Regime, in Bedrängnis geraten sind.
In Europa ist eine Umgestaltung der nationalen Politiken im Gange. Dies wird Konsequenzen haben für die europäischen Debatten, die Europawahlen, die Ernennung der Unionsführer und die Ausrichtung ihrer künftigen Politik im Jahr 2019. Es wird nicht mehr möglich sein mit alten Methoden zu agieren. Die Wunder der Diplomatie werden nicht ausreichen. Es gibt immer mehr grundlegende Fragen darüber, wie unsere Gesellschaften organisiert sind und wie sie auf eine Welt reagieren, die sich immer mehr verändert. Reine Politik!