Da es bereits heute eine große Verunsicherung über die ökonomischen Folgen des EU-Austritts Großbritanniens gibt, hat die britische Premierministerin die Tür für Kompromisse geöffnet. Somit hofft sie, die Grundlagen für den Austritt zu verbessern. Diese Verhandlungsführung ist neu und man muss zwischen den Zeilen lesen, um die Intentionen der Briten zu verstehen und wie sie sich von den bisherigen Positionen unterscheiden:
Die EU-Bürger, die bereits im Vereinigten Königreich leben, werden die selben Rechte erhalten, die sie zum jetzigen Zeitpunkt, durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, haben. Somit wird Unionsrecht in britisches Recht übertragen werden.
Großbritannien ist ebenfalls bereit, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Dazu zählen nicht nur bereits zugesagte Gelder sondern auch Mittel, die es den Briten ermöglichen auch nach dem Austritt im EU-Binnenmarkt zu verbleiben, zumindest für eine Übergangsperiode. Des Weiteren erklärte sich das Vereinigte Königreich dazu bereit, EU-Programme in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Forschung, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik weiter mitzufinanzieren. Diese Finanzierungszusage gilt auch für den EU-Haushalt bis 2020 und man erklärt sich bereit, weitere Programme nach dem Brexit zu finanzieren, die den Gemeinschaftsinteressen dienlich sind.
Die Briten wollen eine Übergangsfrist von zwei Jahren, nachdem die Brexitverhandlungen im März 2019 abgeschlossen sein werden. Diese Periode erachtet die britische Regierung als notwendig, um die Folgen des Austritts, unter anderem aus der Zollunion, zu bewältigen. Das zeigt ebenfalls, dass das Land so lang wie möglich Teil des EU-Binnenmarktes bleiben will.
Theresa May schlägt eine Vereinbarung über die Sicherheit vor, die geeignet wäre, den Kampf gegen den Terrorismus zu verbessern. Somit schlägt sie auch indirekt vor, dass Großbritannien weiterhin an Europol, Eurojust, der Europäischen Verteidigungsagentur usw. teilnimmt.
Außerdem ist sie der Auffassung, dass die Gespräche über die Definition der künftigen Beziehungen zwischen der Regierung Großbritanniens und der EU beginnen können und die Verhandlungen dafür hinreichend fortgeschritten sind. Diese Ansicht teilt die Union nicht.
Abschließend ist jedoch festzuhalten, dass Theresa May sich besorgt zeigt über den endgültigen Austritt Großbritanniens aus der EU. Hierfür erhofft sie sich einen besonderen Status für ihr Land, auch wenn die Umsetzung dieses Wunsches schwierig erscheint. Das Vereinigte Königreich ist nicht bereit, einen ähnlichen Status wie Norwegen oder die Schweiz zu akzeptieren, da es ein großes und wichtiges Land in Europa ist. Somit wird von der EU eine gewisse „Kreativität“ verlangt, um diesen speziellen Status zu erschaffen.
Vielleicht tritt hier die größte Kluft zwischen den britischen und europäischen Visionen zu Tage. Die Europäische Union ist eine politische Gemeinschaft, die auf Verträgen basiert, die eine bestimmte Rechtsgrundlage erschaffen haben und ist weder ausschließlich ein internationales Recht noch ein Recht der einzelnen Mitgliedsstaaten. Ein Teil davon zu sein bedeutet, dass die Anerkennung europäischen Rechts nicht verhandelbar ist und nicht auf das allgemeine Völkerrecht verweist. Es ist nicht möglich bei diesen Fragen zweigleisig zu fahren, insbesondere was die Auslegung des europäischen Rechts anbelangt, welches nur von Gemeinschaftsorganen interpretiert und ausgelegt werden kann. Wenn man mit der Union verhandelt, akzeptiert man deren Regeln. Dieser Grundsatz ist wichtig für die Sicherheit sowie für die Gesundheit der Verbraucher, den Status der Bürger oder für die Finanzordnung. Die Gewährung von Ausnahmen würde zwangsläufig den Rechtsschutz der europäischen Bürger, der zu den erfolgreichsten der Welt gehört, schwächen und würde darüber hinaus Gegenansprüche aus Drittstaaten, mit denen die Union Vereinbarungen geschlossen hat, nach sich ziehen.
Mays Vorschläge spiegeln eine neue Haltung wieder. Sie müssen nun in den Verhandlungen, die am 25. September ihre Weiterführung finden, konkretisiert werden. Diese Konkretisierung fand bisher noch nicht statt. Die neuen Vorschläge zeigen, dass die Briten verunsichert und ängstlich in die Verhandlungen gehen. Durch solche Vorstöße zeigt sich dies mehr und mehr öffentlich. Es zeigen sich auch immer mehr Widersprüche. Wagte Theresa May nicht, in ihrer Rede zu sagen: „Zusammen sind wir in der Lage, großartige Dinge zu leisten“?
Gewiss! Wieso dann überhaupt austreten?
Nur um die Meinung einer immer weiter zersplitternden britischen Gesellschaft bis ins letzte Detail zu folgen? Ist es nicht eine wahrhaftige Leistung von Anführern, das nationale Interesse zu verstehen und es zu bewahren, auch wenn die Launen und Umstände der Tagespolitik etwas anderes verlangen? Jean-Jacques Rousseau, der ein Befürworter der direkten Demokratie war, hatte diese Schwierigkeit bereits in seinen Schriften erwähnt: "Das Volk hat immer Recht, auch wenn es manchmal schlechten Einflüssen unterliegt." Somit ist es immer schwierig seine Entscheidungen ausschließlich mit einer Volksabstimmung zu erklären, es ist jedoch möglich aus den Ergebnissen verschiedene Schlussfolgerungen zu ziehen. Wenn man diese Überlegungen durchführen will, ist es wichtig die Staats- und Parteiinteressen für eine Zeit zu überwinden! Es scheint so, als ob Theresa May einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen hat. Weiter so!