Alexis Tsipras wollte das „liberale Europa“ und „die Austerität“ in Schutt und Asche legen. Nun ist er der große Zerstörer manch hartnäckiger Mythen, die Europa schon lange verfolgen.
Die Europäische Union ist deutlich demokratischer als eine Regierung, die, nachdem sie ihre Wähler belogen und sie per Referendum um eine Absolution für ihre Lügen gebeten hatte, schlussendlich eine gegenteilige Politik verfolgt. Um Zwietracht in Europa zu säen, hat sie keine Provokation gescheut, bevor sie sich letztlich doch noch an einen Tisch begab mit den Einzigen, die ihr helfen konnten, die bereits konstatierte Staatspleite abzuwenden: den Europäern.
Die Geschichte wird dereinst über Tsipras‘ Sinneswandel richten. Die Bürger verstehen all dies, die verrückten Ideen wie auch die Fehler. Immer weniger sind sie bereit, den Zynismus ihrer Politiker zu unterstützen, die ihre ideologische Agenda über die Realität stellen.
Die Europäische Union ist eine demokratische Konstruktion, deren Verträge bislang Gegenstand von 53 Volksabstimmungen und mehr als 200 parlamentarischen Beschlüssen waren. Wer kann das schon von sich behaupten? Sicherlich nicht all die Minderheiten, die, allerorten auf dem Kontinent, nicht müde werden sie zu attackieren. Jede Nation in Europa hat das Recht auf freie Rede, jede Regierung ist gleich viel wert. Und wer auch immer sich gegen dieses Prinzip richtet, wird sich daran die Zähne ausbeißen, denn das Recht und die Prozeduren der Europäer verpflichten sie zum gegenseitigen Zuhören.
Was hat es sich doch gelohnt, dass Tsipras die Griechen abstimmen ließ, nur um sie gleich darauf wieder zu enttäuschen! Dieses Manöver hat nun wahrscheinlich zur Folge, dass sich die Kosten für eine Rettung des Landes letztlich verdoppeln oder verdreifachen. Welch tolle Lektion!
Denn der andere Mythos, der mit Krach in sich zusammenfällt, ist derjenige der „Austerität“. Die Europäer leben seit dreißig Jahren über ihre Verhältnisse. Sie häufen Schulden und Defizite an und allein ihr unfassbarer Reichtum erlaubt es ihnen zu überleben. Nur, bis wann? Für Griechenland ist dieser Zeitpunkt jetzt gekommen! Der Verfall des Landes, seiner Verwaltung und seiner Gebräuche vollzieht sich vor aller Augen, wenn sein Bankensystem zusammenbricht und jedes Zutrauen schwindet. Schulden sind gleichbedeutend mit dem Verlust von Souveränität. Wenn kein Geld mehr da ist, ist nichts mehr da.
Bereits für sich legitimiert das Beispiel Griechenlands all jene haushaltspolitischen Bemühungen, die europäischen Regeln für gute Haushaltsführung, die Rückführung der öffentlichen Haushaltsdefizite, die alle verantwortlichen Regierung versuchen umzusetzen – mehr oder weniger, freiwillig oder gezwungenermaßen. Der andere Weg ist gleichbedeutend mit dem vorprogrammierten Staatsbankrott. Und die großen Experten, ob mit oder ohne Nobelpreis und häufig mitverantwortlich für die Finanzkrise, würden gut daran tun, ihre Kritik zu mäßigen, wenn Regierungen und Nationen sich um die Lösung einer Situation bemühen, für die sie die alleinige Verantwortung tragen und die, so viel ist wahr, einen hohen politischen und sozialen Preis verlangt. Der Euro ist eine solide Währung, die ihre Bürger schützt. Außerhalb der Eurozone lauert das Abenteuer. Ohne die Europäische Zentralbank wäre lange kein Geld mehr in Griechenland. Ohne die Europäische Union würde Griechenland ins Chaos stolpern.
Ein dritter Mythos, derjenige nämlich, dass Deutschland Europa regiert, hat ebenso eine Antwort in der Realität gefunden. Unabhängig von der Position der einen oder anderen Regierung sind alle Europäer einhellig und solidarisch zusammengekommen, um Griechenland, trotz all seiner Fehler, zu retten und dennoch sicherzugehen, dass am Tag nach der Einigung nicht dieselben Fehler aufs Neue gemacht werden. Die Bemühungen der einen lassen sich durch die Fantasien der anderen nicht auflösen.
Wer die Deutschen kennt, der weiß gut, wie sehr sie es unbedingt vermeiden möchten, Europa zu führen, sondern ihm vor allem Stabilität, für die sie bereit sind ihre eigene Souveränität zu teilen, schenken wollen. Die Wiederauferstehung einer widerlichen Germanophobie verdeutlicht einmal mehr die niederen Instinkte der Extremisten aller Seiten, die von den Gegebenheiten und Realitäten eines Kontinents widerlegt werden, dessen kostbarstes Gut dasjenige der Einigkeit ist. Die Verantwortung von Frankreich und Deutschland ist in dieser Hinsicht einmalig. Jeglicher Schatten auf ihrer Einheit leistet einer Spaltung des Kontinents Vorschub.
Die Krise Griechenlands ist deshalb so dramatisch, weil die Zukunft eines europäischen Volkes auf dem Spiel stand. Sie hat bereits jetzt verdeutlicht, dass die populistischen Slogans, die auf dem Nährgrund der derzeitigen Schwierigkeiten gedeihen, von der harten Realität widerlegt werden. Sie zu akzeptieren, heißt der Pleite entgegen schreiten. Die Weiterentwicklung und Stärkung der Europäischen Union und ihrer Währungsunion ist deshalb nun eine Aufgabe von niemals dringlicherer Natur, auch um lange Schlangen an den Schaltern der Banken künftig zu vermeiden!