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Die echte Nummer 2 der Europäischen Kommission

Viel gibt es hinsichtlich des Betriebs und der Praktiken in den europäischen Institutionen zu reformieren. Ihre Erneuerung müsste deshalb eine Gelegenheit für merkliche Veränderungen sein.

Ein Konsens scheint sich beispielsweise für die Notwendigkeit einer Neuordnung der kommissarischen Kernkompetenzen der Europäischen Kommission um die Vizepräsidenten herum abzuzeichnen. Die Aktivitäten der Kommission und ihrer Dienste könnten dadurch besser koordiniert werden. Tiefgreifende Reformen werden auch erwartet, um offenkundige Misserfolge, wie in den Bereichen Energie oder Finanzdienstleistungen, zu beheben. Hier wuchern veraltete Konzepte – der Wettbewerb – wirtschaftliche Ordnungspolitik oder die katastrophale Kommunikationspolitik.

Es gibt jedoch einen Politikbereich, der vergleichsweise im Hintergrund steht und von dem doch in Wirklichkeit die Dynamik der Union abhängt: Die Außenbeziehungen. Die Kombination der beiden Ämter des 1. Vizepräsidenten der Kommission und des Hohen Gesandten für Außen-­‐ und Sicherheitspolitik bildet eines der wichtigsten Ressorts. Sie macht aus ihrem Inhaber – wenn er sie denn voll zur Geltung bringt – eine echte Nummer 2 der Europäischen Kommission. Diese hochrangige Persönlichkeit besitzt die Autorität, in Verbindung mit den Mitgliedsstaaten und unter voller Anteilnahme an den Entscheidungen des Kollegs die Handlungen einer Vielzahl von Kommissaren und wichtiger Dienste zu koordinieren. Ganz und gar ausgeschöpft, können diese Aufgaben die Handlungsweisen der gesamten Union verändern.

Frau Ashton konzentrierte sich auf die Schaffung eines gemeinsamen diplomatischen Dienstes und stellte – leider – ihre Befugnisse als Vize-­‐Präsidentin der Kommission, das heißt die Koordination von fast 12 Milliarden Euro an jährlichen Ausgaben für Entwicklungs-­‐ und humanitäre Hilfe, für Krisenmanagement, Erweiterungen und Nachbarschaft sowie die großen Verhandlungen über internationalen Handel in den Hintergrund. Hinzu kommt, dass sie sich nicht – wie durch den Vertrag von Lissabon erhofft – mit dem noch immer verkommenen Verteidigungssektor in Europa auseinandersetzte. Sie hat nicht einmal die Hälfte der Arbeit gemacht. Das muss anders werden.




In den offenen Verhandlungen zwischen Jean-­‐Claude Juncker, den Mitgliedsstaaten und dem Parlament scheint das Interesse für dieses Amt nur mäßig. Vermutlich, da die nationalen Diplomaten ein wenig neidisch auf dessen Befugnisse sind. Das ist ein großer Fehler. Denn wer, wenn nicht ein für Außenbeziehungen verantwortlicher Vizepräsident könnte die Politik der Mitgliedstaaten, von denen er außerdem abhängt, unterstützen? Vielleicht auch weil sich die Mitgliedsstaaten auf den sich in Schwierigkeiten befindenden wirtschaftlichen Bereich konzentrieren, dessen Bewältigung durch Europa nicht ohne Impulse der Mitgliedsstaaten gelingen kann– zum Beispiel die Energiepolitik? Ist also nicht endlich ein Stratege als Vize-­‐Präsident der Kommission nötig?




Nichts wäre schlimmer, als dieses Amt als sekundär wahrzunehmen und direkt zum großen Kuhhandel um die Ämtervergabe überzugehen– wodurch die Ressorts alles in allem zu zahlreich und schlecht vergeben werden.

Die Union braucht eine Frau oder einen Mann aus der Direktion großer nationaler öffentlicher Verwaltungen, die in Brüssel einen Führungsanspruch vertreten und sich für militärische Angelegenheiten interessieren. Außerdem sollten sie über eine vertiefte europäische und diplomatische Ausbildung verfügen, dabei sowohl das Europaparlament als auch nationale Parlamente achten und offen an den Überlegungen der Kommission teilnehmen. Der Vertrag von Lissabon, der den traditionellen Gegensatz zwischen Gemeinschafts-­‐ und Intergouvermentaler Methode für Fragen, die noch immer von nationaler Souveränität abhängen, aufzuheben versucht, stellt noch vielfältige und bisher unausgereizte Möglichkeiten bereit.

Kann man heute in Europa abgeschlossen von dem Global Village, das die Welt geworden ist, agieren?

Kann man eine gegenüber den Mitgliedsstaaten spezifische Außenpolitik verfolgen? Das ukrainische Beispiel zeigt, was man nicht tun sollte.

Ist es möglich, dass die Kommission weiterhin in vacuo Überlegungen anstellt, ohne dabei die äußeren Konsequenzen aller ihrer Entscheidungen zu berücksichtigen?

Der Europäische Rat muss für dieses Amt einen Verantwortlichen wählen, der bereit dazu ist, beide Aufgabenbereiche dieses schwierigen Postens voll auszufüllen. Das bedeutet auch, dass er fähig sein muss, die Institutionen mit den Mitgliedsstaaten sowie natürlich den Bürgern in Einklang zu bringen. Diese Wahl darf nicht nebensächlich sein.

Denn sie ist essenziell.

Ein Jungspund oder politisches Federgewicht wird der Sache nicht gewachsen sein!
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