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Schwaches Europa

Europa wurde gegründet auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Europäische Entscheidungen erfordern den Dialog, organisierte Verhandlungen und erzwungene Kompromisse. Den Diskussionen zwischen Nationalstaaten wurde eine supranationale Dimension hinzugefügt, die schmerzhafte Verpflichtungen mit sich bringt, vertraglich festgeschrieben. Dies war vermutlich notwendig, nach Jahrhunderten der Unruhe und Konfrontation. Die Gewaltenteilung führte jedoch zu einer Schwächung Europas.

Die Mitgliedstaaten zeigten sich zögerlich, Kompetenzen abzugeben und zu zurückhaltend, um eine wirkliche demokratische Kontrolle der europäischen Institutionen zu gewährleisten.

Gleichzeitig leidet die parlamentarische Demokratie in Europa unter dem Vorstoß von Bürgerbegehren und Volksbefragungen, da den Bürgern die Wahlen für eine Legitimation des Regierungshandelns nicht mehr ausreichen; stattdessen fordern sie sofortige Rechenschaft. Der Parlamentarismus fordert von den Regierungen Anpassungsbereitschaft und zum Teil unvorhergesehene Koalitionen, wie in Großbritannien, Osteuropa und sogar in Deutschland. Die Staaten mit geringem parlamentarischen Einfluss, wie Frankreich, sehen sich nachhaltig geschwächt von oben wie von unten. Überall gibt es Schwierigkeiten bei der Anpassung an die neue Weltlage. Europa braucht jedoch keinen „shutdown“ – politische Sackgasse, die zu einer Zwangsschließung staatlicher Einrichtungen führt – um die Schwäche der Regierenden offensichtlich zu machen. In unserem Streben nach demokratischen Rechten haben wir vielleicht notwendige Kontrolle der Exekutive mit Schwächung der Regierungen verwechselt.

Zur gleichen Zeit haben die undemokratischen Regierungen in Russland, China und anderswo, die mit den gleichen Bürgerbegehren konfrontiert werden, ihren totalitären Zugriff auf die Gesellschaften ausgeweitet, indem sie zugleich beweisen wollen, dass sie besser in der globalisierten Welt zurecht kommen. Demokratie heißt jedoch nicht weniger Macht, sondern Machtausübung in seiner ganzen Fülle, kontrolliert und sanktioniert, manchmal sogar zu Unrecht.

Eine Bedingung für das Vorankommen Europas ist die Gewährleistung besser kontrollierter Gewalten, die stark und in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen – auf nationaler wie auf europäischer Ebene.

Dies hängt vor allem von den Frauen und Männern ab, die an der Spitze stehen werden.

2014 werden sämtliche europäischen Institutionen erneuert werden. Die Regierungen haben somit jetzt die Gelegenheit, die europäischen Spitzenpositionen – in Kommission, Parlament, Europäischem Rat, Auswärtigen Dienst - mit dem richtigen Spitzenpersonal zu besetzen, das über ausreichend Führungsqualitäten verfügt und zur Wahrung des Gemeinwohls keine Risiken scheut, selbst nicht zum eigenen Nachteil. Werden sie sich hierzu in Brüssel durchringen, obwohl sie größtenteils und oft aus den gleichen Gründen in ungemütlichen Situationen gefangen sind?

Dies ist der Preis für die notwendige Wiederaufrichtung Europas.
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