Unter dem Druck einiger populistischer Abgeordneter seiner Partei hat sich David Cameron in eine politische Zwickmühle treiben lassen bezüglich der Beziehungen Großbritanniens zur Europäischen Union. Trotz seiner Aussage, dass es im Interesse des Landes liege, Mitglied der Union zu bleiben – entsprechend der einhelligen Meinung unter den britischen Entscheidungsträgern – macht Cameron sich bereit, voraussichtlich am 22. Januar in Den Haag die Abhaltung eines Referendums anzukündigen.
Dies ist das, was passiert, wenn eine politische Klasse die Europapolitik vernachlässigt, indem sie vorspiegelt, dass alles auf nationaler Ebene entschieden würde, wenn Entscheidungsträger gedankenlose Versprechungen machen mit dem alleinigen Ziel, wiedergewählt zu werden, wenn man Europa zum Sündenbock macht für die eigenen Schandtaten!
Es gab jedoch genügend Warnungen. Zunächst innerhalb Großbritanniens, wo prominente Persönlichkeiten aus unterschiedlichsten Bereichen ihre Besorgnis äußerten und ihre Opposition gegen diese Politik. Darüber hinaus gab es Warnungen von Partnern und Freunden der Briten: Von Deutschen, Franzosen, Europäern, „Brüsselern“ und sogar von Amerikanern. Der für Europa zuständige Abteilungsleiter im US-Außenministerium, Phil Gordon, würdigte die Union mit klaren Worten: "Wir haben wachsende Beziehungen zur EU als einer Institution, die eine immer stärkere Stimme in der Welt ist - und wir wünschen uns eine starke britische Stimme in dieser EU… Wir wünschen uns eine Europäische Union, die nach außen orientiert ist und dass Großbritannien Teil dieser Union ist.“
Sicher, die Mehrheit Camerons ist schwach und hängt von einer fragilen Koalition ab, sicher, die wirtschaftliche Lage des Landes ist mindestens so schwierig wie sonst in Europa, dennoch hatte man von den Erben des ruhmreichen Empire eine zögerliche Absatzbewegung im Moment des Triumphes der Globalisierung nicht erwartet. Die Interessen Großbritanniens scheinen vielleicht noch stärker als bei anderen in Europa am besten in einer Union vertreten zu werden, die Vielfalt und Besonderheiten respektiert, aber zugleich auf intelligente Art und Weise wirtschaftliche Kräfte vereint und attraktiv ist für die großen weltweiten Finanzflüsse. Hat die City eine Zukunft ohne privilegierten Zugang zum europäischen Kontinent? Hat die britische Industrie so große Absatzmärkte, dass sie ohne den kontinentalen Binnenmarkt auskommt? Hat die britische Demokratie so viele Verbündete weltweit, die ihre Überzeugungen und ihre demokratischen Werte teilen, dass sie Europa den Rücken drehen kann, trotz historischer und kultureller Zugehörigkeit?
Die populistische Überraschung, die man andernorts in Europa vermutet hätte, kommt aus Großbritannien, aus Richtung der Partei UKIP und der extremen Rechten, in nostalgischen, nationalistischen Reflexen, rückwärtsgewandt und egoistisch. Diese Reflexe wurden von der Boulevardpresse aufgebauscht, die größtenteils finanziert wird von Ausländern mit schlechten Absichten. Somit wird das Land, in dem die parlamentarische Demokratie erfunden wurde, durch den Populismus im Herzen getroffen, dieser Egoismus der Reichen; es besteht das Risiko, von den Lords Mandelson, Brittan, Kerr oder Heseltine bereits öffentlich ausgesprochen, dass die Regierung Großbritannien „versehentlich“ aus Europa ausschließt.
Angesichts dieser Gefahr könnte David Cameron versucht sein, ein Referendum über die „Neudefinition der Beziehungen mit der EU“ abzuhalten, um so gewissermaßen das Dilemma auf seine europäischen Partner zu übertragen.
Kann Großbritannien noch von weiteren europäischen Politiken Abstand nehmen, wo es bereits von der Verpflichtung eines jeden neuen Mitgliedslands ausgenommen ist, den Euro einzuführen, wo es bereits nicht Mitglied des Schengenraums ist mit entsprechender Bewegungsfreiheit für Personen, die stets auch Waren und Kapital umfasst, wo es bereits in den Bereichen Diplomatie und Verteidigung außen vor steht und sich gegen die Grundrechtscharta ausgesprochen hat (Geist der Magna Charta, wo bist du?) und gegen die kommende Bankenunion?
Will Großbritannien vielleicht das Unmögliche? Das heißt den Binnenmarkt, aber ohne entsprechende Verpflichtungen, die sich daraus ergeben? Ein Europa à la carte ist schwer vorstellbar, da es die legitimen Interessen seiner Partner verletzen würde, die auf Integration setzen. Die Krise hat dazu geführt, dass selbst die besten Restaurants ein Menü mit einem Glas Wein anbieten, statt nur „à la carte“ mit einer guten Flasche Wein, denn letzteres ist inzwischen Luxus geworden! Gleiches gilt für das gemeinsame Europa: In der Krise gibt es ein einheitliches „europäisches Menü“, ein für alle akzeptables Minimum, um das Privileg zu haben, am Tisch Platz nehmen zu dürfen. Auch wenn es guter Brauch ist, dass die europäischen Regierungen sich bemühen, einem Partner im Falle von innenpolitischen Schwierigkeiten keine zusätzlichen Probleme zu bereiten, so wird es diesmal sehr schwierig für sie sein, David Cameron zu helfen.
Er sollte den Weg des Mutes und der Klarheit wählen: Indem er seinen Landsleuten unzweideutig die Frage nach der weiteren Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union stellt, würde er an ihre mutigen, pragmatischen, realistischen Interessen und an ihr Verständnis appellieren, unzweifelhafte Werte des britischen Volkes, das somit entscheiden könnte, diesem Theater ein Ende zu bereiten und, wie bereits in der Vergangenheit, loyal seinen Platz innerhalb der Europäischen Union einzunehmen.