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Ein europäischer Vertrag ohne Frankreich?


Die französischen Präsidentschaftswahlen belasten die Europäische Union. Einer der Kandidaten kündigt an, den Stabilitätspakt, die neuen Regeln zu Zusammenarbeit und Governance neu aushandeln zu wollen und er erhält hierfür Zustimmung aus den Reihen seiner Anhänger.

Die Ankündigung kommt in einem schlechten Moment für Europa; der neue Vertragstext und die Intervention der Europäischen Zentralbank haben gerade erst das Vertrauen in die europäische Wirtschaft wieder hergestellt und auf den Finanzmärkten für Ruhe gesorgt, die vermutlich aber nicht lange anhalten wird.

Erst am 2. März 2012 wurde der Vertrag unterzeichnet, der die notwendigen Bausteine für eine Wirtschaftsunion enthält, wie sie Jacques Delors zum Zeitpunkt der Entstehung der Währungsunion vorschwebte. Der Vertrag ist nicht perfekt und sein Inhalt muss erst noch umgesetzt werden, er befindet sich jedoch im Einklang mit den europäischen Verträgen, die ein Verbot von Haushaltsdefiziten und immer höheren Staatsschulden enthalten und eine Koordinierung der Wirtschaftspolitiken vorsehen.

Gegen den Vertrag kann der Vorwurf erhoben werden, dass er nicht weit genug geht, dass er nicht genug Wachstumsinitiativen enthält, er ist jedoch ein unabdingbarer Grundstein für weitergehende Maßnahmen und er wurde von den europäischen Abgeordneten verabschiedet, die dem Inhalt in insgesamt sechs verschiedenen Gesetzestexten zugestimmt haben, die seit dem 13. Dezember 2011 in Kraft sind und die aller Voraussicht nach auch in Zukunft gelten werden. Der Vertrag vom 2. März, der die feierliche Geburtsstunde eines Fiskalpaktes darstellt und der eine Überwachung der durch die Mitgliedsstaaten getroffenen Vereinbarungen vorsieht, ermöglicht einen progressiven und abgestimmten Schuldenabbau und den Abbau der Haushaltsdefizite, wodurch er der Welt eine Botschaft übermittelt: die Europäer regeln nunmehr ihre eigenen Angelegenheiten.

Der Vertrag, der am 2. März unterzeichnet wurde, wird spätestens am 1. Januar 2013 in Kraft treten, sobald ihn 12 Staaten der Eurozone (von insgesamt 17) ratifiziert haben werden. Schon jetzt hat eine Mehrheit der Euroländer erklärt, den Vertrag ratifizieren zu wollen.

Frankreich könnte sich somit erstmals seit 1950 in der Situation befinden, dass es einen entscheidenden europäischen Vertrag nicht ratifizieren wird.

Ist es jetzt, in einer Phase, in der die Franzosen in einem demokratischen Verfahren ihren neuen Präsidenten wählen, nicht an der Zeit, ihnen die ganze Wahrheit zu sagen? Zum Beispiel darüber, dass man nicht über mehr Ausgaben Wachstum generieren kann, sondern nur durch eine strikte Haushaltsführung?

Oder darüber, dass sie als solidarische Partner innerhalb Europas darauf achten müssen, Entscheidungen zu vermeiden, die negative Auswirkungen auf die französische Wirtschaft und die Wirtschaft der Eurozone haben werden und dass ein geeintes Europas nicht durch einseitige Positionen und politische Manöver entstehen kann?

Oder darüber, dass Frankreich diesmal nicht unumgänglich ist und dass seine – souveräne – Entscheidung von den europäischen Partnern verworfen werden könnte, da es sich um eine Krise handelt, die es alleine nicht bewältigen kann?

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