Wir wussten schon eine ganze Weile, dass die Erweiterungspolitik kränkelt.
Ohne Richtung und ohne Kapitän am Steuer scheint sie – trotz der Krise, den Schwierigkeiten der Europäischen Union und der Skepsis der Europäer - unbeirrbar ihren Weg weiter zu verfolgen.
Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission am 9. November ihre Strategie und ihre Berichte über den Stand der Beitrittskandidaten veröffentlicht, ist es legitim sich die Frage zu stellen, ob sie u. a. diesen drei Kriterien entsprechend gute Arbeit leistet: die Ergebnisse, ihren Beitrag zur Union und ihre Methoden.
Die Erweiterungspolitik ist zusammengebrochen; ihre Ergebnisse sind enttäuschend.
Sicherlich hat sie die Finanzierung von Beitrittsstaaten (1,55 Mrd. im Jahr 2010, darunter 653 Millionen für die Türkei) für die Modernisierung ihrer Wirtschaft und ihrer Gesellschaft ermöglicht.
Aber wir müssen auch zugeben, dass der Prozess stagniert. Mazedonien wurde beispielsweise im Jahr 2005 zum offiziellen Beitrittskandidaten erklärt, aber die Verhandlungen haben immer noch nicht begonnen. Die Türkei hat die politischen Anforderungen der Union und ihre eigene Verpflichtung nicht erfüllt, die Republik Zypern anzuerkennen. Man kann sich auch fragen, ob Bosnien wie auch Serbien tatsächlich nach dem Abkommen von Dayton Fortschritte erreicht haben.
Natürlich kann sich die Union rühmen, dass sie zur Stabilisierung ihres unmittelbaren Umfeldes beigetragen hat, aber selbst dies würde eine objektive Untersuchung erfordern, die jedoch nicht durchgeführt wird. Die Euroskepsis breitet sich schnell in den Mitgliedstaaten, aber auch bei den Kandidaten aus. In der Union sprechen sich die Europäer immer mehr gegen jegliche Erweiterung aus und die Kommission tut so, „als ob nichts gewesen wäre“. Sie gibt dadurch denjenigen Akteuren Argumente, die den nicht besonders demokratischen Charakter der europäischen Institutionen bemängeln. Die Kandidaten fragen sich immer mehr, was die Union mit ihrer fehlerhaften Funktionsweise wirklich möchte, vor allem wenn der Erweiterungsprozess mit der Verpflichtung beginnt, ein Formular mit 1500 Fragen auszufüllen.
Denn die von der Kommission verwendeten Methoden müssen nunmehr genauer begutachtet werden. Nicht, weil die Bewertung nicht gut durchgeführt würde. Sie ist nur ganz bürokratisch, quasi mechanisch und führt vor Ort zu unverständlichen Fehlern. Die notwendige Korruptionsbekämpfung wird anhand von Beurteilungen gemessen, die oft von den Fakten widerlegt werden.
Die Sicherheitsfragen der Union sind nicht in dem Prozess auffindbar. 37% des afghanischen Heroins, das illegal nach Europa importiert wird, passieren jedoch den Balkan, ebenso illegale Einwanderer. Die Union ist gezwungen, Einsatzkräfte an die griechisch-türkische Grenze zu senden, um die Arbeit, die nicht von der Türkei erledigt wird, zu überwachen.
Serbien beispielsweise wird unterstützt, obwohl es eines der Balkanländer ist, das es am wenigsten verdient, und dies aufgrund der fehlenden Entschlossenheit seiner führenden Politiker, die sich für Europäer halten. Albanien hingegen, das phänomenale Fortschritte gemacht hat und dessen Bemühungen von der Weltbank gelobt werden, wird zurückgewiesen, wahrscheinlich weil das Bild, das man sich in Brüssel von dem Land macht, seit zehn Jahren nicht mehr aktuell ist.
Die Festlegung von Unterscheidungen zwischen Nachbarstaaten ist eine der gefährlichsten Aufgaben überhaupt! Sie muss einwandfrei sein und das ist nicht der Fall. Und ist dies tatsächlich das Ziel der Aufgabe? Ist es übrigens nicht das Wichtigste bei der Erweiterungsfrage auf dem Westbalkan, dass sichergestellt wird, dass eine wahrhaftige regionale Zusammenarbeit den Hass und die Erinnerung an die Brüderkriege ersetzt hat? Und auch, dass der mögliche Beitritt dieser Länder die Union in der Welt und ihre Sicherheit an ihren Grenzen stärkt? Aber dies soll in die Zuständigkeit der Politik und der Kultur fallen, während sich die Kommission offiziell mit einer Untersuchung der Zahlen und der Gesetze zufrieden gibt, bei welcher das Konditionalitätsprinzip im Vordergrund steht.
Die Kommission versteckt sich in jeder Angelegenheit hinter den Mitgliedstaaten und dem Rat, dem sie jedes Jahr ein „Paket“ schnürt, das nicht zu verabschieden politisch schwierig ist, aber welches vor allem nicht geöffnet werden darf. Was für ein Geschenk!
Die ganze Erweiterungspolitik müsste noch einmal anhand einer wahrhaftigen politischen Strategie und mit starken politischen Botschaften gegenüber den Regierungen der Kandidatenländer durchgesehen werden, die oft den Beitritt zu innenpolitischen Zwecken instrumentalisieren. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Verantwortung diesbezüglich übernehmen. Soll die EU erweitert werden, weil der Prozess an sich Vorteile hat? Oder soll das Zel, neue Staaten zu integrieren, vorherrschen?
Diese Aufgabe kommt dem Rat der Außenminister zu, der diese nicht erfüllt. Die Kommission handelt, als ob die Erweiterungspolitik auf Biegen und Brechen weitergeführt werden müsste, ohne ihren Ansatz zu ändern. Außerdem vermittelt sie das Gefühl, dass sie ihre Mission, das europäische Gemeinwohl jenseits des derzeitigen Widerstands zu verkörpern, nicht erfüllt.
Eine demokratische Kontrolle des Erweiterungsprozesses muss nunmehr eingerichtet werden. Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente müssten diese Aufgabe in die Hand nehmen.