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Die Entschlüsselung Europas

Die politische Bühne Europas wird immer undurchsichtiger. Nicht nur aufgrund des institutionellen Flechtwerks des Vertrags von Lissabon, sondern auch weil die Hauptakteure selbst den Eindruck vermitteln, dass sie sich nicht mehr zurechtfinden!

Der heftige Widerstand gegen das sogenannte „deutsch-französische Diktat“ endete mit einer einstimmig angenommenen Entscheidung des Europäischen Rates, welche die Haushaltsdisziplin und die Sanktionen gegenüber defizitären oder verschuldeten Ländern verschärft. Die Härte der Staats- und Regierungschefs erschreckt die Märkte bei der Vorstellung, dass ein Staat der Eurozone Bankrott gehen könnte. Deutschland und Frankreich schlagen vor, in die Verträge den Finanzmechanismus hineinzuschreiben, der es ermöglicht hat, Griechenland zu retten, aber niemand möchte die Verträge ändern. Sie geben jedoch gleichzeitig zu, dass dies notwendig ist, wie es auch für jeden Integrationsfortschritt sein wird. Jeder wünscht sich eine Stärkung der europäischen Verteidigung; aber es waren das Vereinigte Königreich und Frankreich, die einen bilateralen Vertrag über die militärische Zusammenarbeit unterschrieben. Frau Ashton setzt unerschütterlich die Ernennungen im Europäischen Auswärtigen Dienst fort, der eine gemeinsame Außenpolitik umsetzen soll. Dieser weigert sich aber, über Sicherheit und Verteidigung zu sprechen, ohne welche es jedoch keine europäische Außenpolitik gibt.

Es ist für den Bürger schwierig, sich zurechtzufinden!

In Wahrheit versteckt diese Verwirrung mindestens zwei wichtige Entwicklungen:

Die Union befindet sich in keiner enthusiastischen Integrationsphase – das ist das Mindeste, was man sagen kann. Ohne einen echten Haushalt muss sie die schwierigsten Aufgaben bewältigen. Die Funktionsweise ihrer Institutionen, deren Zahl nunmehr angestiegen ist, ist auch kompliziert. Man sucht umsonst ein paar Visionäre, die sich in dem System verlaufen haben, die laut und stark für das Gemeinwohl plädieren und uns den Weg zeigen.

Die Ausnahmen bei den EU-Verträgen haben sich vermehrt und untergraben die politische Homogenität insgesamt, welche bereits durch ihre wirtschaftliche Heterogenität bedroht wird. Abgesehen von Experten können nur die Schlausten sagen, welche Staaten der Eurozone, dem Schengener Raum, dem Europäischen Wirtschaftsraum oder der NATO angehören.

Die Umstände drängen jedoch mehr denn je auf neue gemeinsame Politiken. Aber Europa trödelt herum, während der Rest der Welt beschleunigt. Die europäischen Politiken bezüglich des Haushalts, der Sicherheit, der Verteidigung, der Einwanderung und der Integration, die von der Krise gefordert werden, sowie die laufenden Veränderungen werden nur dann wirklich effizient sein, wenn sie wahrhaft europäisch sind.

Mehr und mehr Kooperationen zwischen nur Wenigen zeichnen sich ab, die sich im Allgemeinen auf deutsch-französische Übereinkommen beschränken. Das deutsch-französische Tandem erscheint als einer der raren Hüter dessen, was von dem europäischen Geist bleibt. Wir könnten uns darüber freuen und wünschen es uns gleichzeitig noch ehrgeiziger. Wird dies aber ausreichen, um der europäischen Integration zu dem Zeitpunkt den Elan zu geben, in dem sie wahrhaftig von der neuen Welt herausgefordert wird?

Die Vertragsänderung im Hinblick auf die Schaffung von Hilfsmaßnahmen für Staaten in Schwierigkeiten wird tatsächlich eine Stunde der Wahrheit sein. Denn es handelt sich nunmehr nicht mehr um diplomatische Übungen, sondern um die Zukunft dessen, was  Stärke und Antrieb verkörpert, und in vielerlei Hinsicht auch um das Überleben der Union in der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts und um die europäische Währung, den Euro. Falls es noch mehr Ausnahmen (opting out) in Verträgen gibt, wenn manche ein weiteres Mal ablehnen zu unterschreiben, und wenn manche zögern, dann muss eine Entscheidung über den „harten Kern“ des gemeinschaftlichen Europas getroffen werden und nur mit wenigen Ländern vorangeschritten werden, und die anderen Länder werden beiseite gelassen. Jeder wird sich dann schnell für eine Seite entscheiden müssen.
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