China entdeckt derzeit, dass sich Macht nicht nur auf eine Wachstumsrate reduzieren lässt.
Der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao, der am Europa-Asien-Gipfel teilgenommen hatte, hat mit Arroganz jegliche Diskussion über den erzwungenen Kurs des Yuan abgelehnt. Der Yuan ist ein wahrhaftiger Kunstgriff, der die Wettbewerbsfähigkeit seines Landes und die wirtschaftlichen Leistungen um fast 40% anschwellen lässt, der den Welthandel erheblich destabilisiert und der die Zerbrechlichkeit der außergewöhnlichen Entwicklung des Reichs der Mitte versteckt.
Wen Jiabao hatte seine Reise in Athen begonnen, um dort ein paar Einkäufe zu erledigen und von den derzeitigen Schwächen Griechenlands zu profitieren. Danach ist er in die Türkei gereist, um dort die lokale Entschiedenheit auszunutzen, woanders hin zu sehen – wahrscheinlich in Richtung einer neuen Seidenstraße mit merkantilistischen Beiklängen.
Zur gleichen Zeit wurde trotz des vergeblichen Drucks der Regierung Chinas der Friedensnobelpreis einem der emblematischsten chinesischen Dissidenten verliehen, da dieser gemäßigt und vorbildhaft ist. Seit den Ereignissen des Frühlings 1989 hat Liu Xiaobo seine Forderung nicht aufgegeben, in China endlich Fortschritte bei der Meinungsfreiheit sowie beim Respekt der Menschenrechte und des Rechtsstaats zu erreichen.
Wenn man die chinesischen Reaktionen diesbezüglich betrachtet, wird verständlich, dass alleine diese bohrende Forderung das derzeitige Entwicklungsmodell Chinas erschüttert, das nun ein bisschen zu viel von den Kommentatoren verherrlicht wird, die nunmehr auf der Seite der leichtgläubigen Sino-Bewunderer stehen.
Die folgende Frage ist dennoch legitim: Kann sich die größte Macht der Welt von den elementaren Regeln der Demokratie distanzieren, wie es die Anhänger eines neuen Konfuzianismus uns glauben lassen würden, die zur Verstärkung herbeigerufen wurden, um ein totalitäres System zu rechtfertigen?
Auf diese Frage antworten die Bevölkerungen einfacher als die Regierungen.
In Istanbul zeigten Demonstranten Plakate mit der Überschrift „Glaubt Chinas Lügen nicht!". In Afrika sind die Bauern über diese neuen Kolonisatoren beunruhigt, welche sie an die Sklaverei erinnern. Wir erinnern uns auch daran, dass der olympische Fackellauf in Frankreich und im Vereinigten Königreich einen spontanen und unvorhergesehenen Volkszorn hervorgerufen hatte.
Wenn wir es verstehen, dass das unhaltbare Regime Nordkoreas ohne die Unterstützung Chinas in einigen Tagen zusammenbrechen würde, wo China doch akzeptiert, dass eine dritte Generation von Kim-Diktatoren ihre Freveltaten weiterführt, können gewaltige Reaktionen erwartet werden. Außerdem schockiert Chinas Unterstützung des Sudan immer mehr und sie ermöglicht das Weiterverfolgen der Massaker. Seine Unterstützung des Iran gefährdet zudem den Weltfrieden.
Herr Wen, für die Völker gibt es keine dauerhafte wirtschaftliche Entwicklung ohne Freiheit und es existiert kein tatsächlicher Reichtum ohne den Respekt der Menschenrechte! Außerdem werden diejenigen auf der internationalen Bühne nicht respektiert, die die gemeinsamen Interessen nicht berücksichtigen.
Europa könnte dieses Mal eine seiner mächtigsten Waffen benutzen, und zwar diejenige, die von seinen Bevölkerungen gebildet wird, welche an der Freiheit hängen, an einem universellen Modell, das die Menschenrechte respektiert und für welches sie bereit sind zu kämpfen. Europa wird nicht alleine sein, egal welche wirtschaftlichen Interessen betroffen sind. Die Forderung der europäischen und amerikanischen Regierungen, Liu Xiaobo freizulassen, hat vielleicht eine Chance, erfüllt zu werden, wie auch ihr Wunsch, dass sich das Land endlich in Richtung eines Rechtsstaats entwickelt. Dies wäre eine gute Nachricht. Aber die derzeitige Haltung Chinas stellt essentielle Fragen, die die europäischen Positionen und die Position der transatlantischen Gesamtheit verstärken könnten, welche immer noch mehr als die Hälfte des Reichtums der Welt auf sich vereint und für eine wahrhaftige internationale Regulierung kämpft. Wir müssen den Währungskrieg beenden. Wir müssen auch die multilateralen Organismen stärken und respektieren, die die Zusammenstöße der Mächte abfangen. Außerdem müssen wir uns für die Förderung der Freiheiten einsetzen, welche eine Bedingung der menschlichen Entwicklung darstellt. Und das nicht nur in unserem Interesse, sondern zum Wohle der Menschheit.
Dies ist der Sinn des Nobelpreises und der europäischen Reaktionen auf diese Auszeichnung. Und niemand kann sich auf lange Sicht straflos von diesen Verpflichtungen befreien. China muss eine Haltung annehmen, die einer großen Macht würdig ist und die dem Gemeinwohl mehr entspricht.
Sonst lassen sich auf unserem Planeten schwierige Momente, erbitterte Auseinandersetzungen und gewaltsame Tage vorhersehen, da es sich um die Zukunft der Menschheit handelt. Niemand möchte dies. Aber – trotz seines unvollendeten Charakters – hat Europa gezeigt, dass es in der vordersten Reihe und auf der richtigen Seite stehen wird.